Der Kampf geht weiter

Die Krebsmedizin entwickelt sich immer mehr in Richtung Präzisionsonkologie: zielgerichtet und personalisiert.
Illustration: Anna Ruza
Mirko Heinemann Redaktion

Lungenkrebs ist die dritthäufigste Krebserkrankung in Deutschland, mit Rauchen als größtem Risikofaktor. Die Heilungschancen sind gering, auch deshalb, weil Lungenkrebs oftmals sehr spät festgestellt wird. Bisher wird die häufigste Form, das sogenannte „nicht kleinzellige Lungenkarzinom“, in der Regel mit einer Chemotherapie behandelt. Außerdem können bestimmte Mutationen, also genetischen Ausprägungen des Tumors, mit Pharmazeutika im Rahmen von so genannten „zielgerichteten Therapien“ behandelt werden.


Beim diesjährigen Deutschen Krebskongress in Berlin, der gemeinsam von der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Krebshilfe ausgerichtet wurde, drehten sich viele Debatten der Mediziner um die relativ neue Immuntherapie. Mit der Immuntherapie gebe es bei Lungenkrebs eine „komplett neue Therapiemöglichkeit“, so Professor Martin Reck, Spezialist für das Lungenkarzinom. „Die Gabe von Antikörpern, die eine Reaktivierung des Immunsystems bewirken, hat eine große Wirksamkeit gezeigt.“ Derzeit werde diskutiert, so Reck, wann der beste Zeitpunkt sei, die Immuntherapie zu beginnen, wie sie in Kombination mit der Chemotherapie anzuwenden sei und welche Patienten am besten geeignet seien.

Auf dem weltgrößten ASCO-Krebskongress, der Anfang Juni in Chicago stattfand, war die Immunonkologie ebenfalls das beherrschende Thema. Bisher werden immuntherapeutische Verfahren vor allem bei Hautkrebs, Nierenzellkrebs und dem Hodgkin-Lymphom angewandt. Das Prinzip: Das körpereigene Abwehrsystem wird genutzt, um Krebszellen anzugreifen. Weil aber der Krebs in der Lage ist, das körpereigene Immunsystem auszuschalten, müssen erst einmal diese Mechanismen außer Kraft gesetzt werden. Das geschieht zum Beispiel mit Hilfe sogenannter Checkpoint-Inhibitoren. Sie verhindern die Unterdrückung der Immunantwort durch die Krebszellen und bewirken so, dass das Immunsystem den Tumor verstärkt angreift. Nebenwirkungen können überschießende Immunreaktionen sein: Fieber, Ausschläge und Juckreiz an der Haut, aber auch Entzündungen des Darms, der Leber, der Nieren oder der Lunge.

In einer großen Studie, die in der Fachzeitschrift JAMA Oncology veröffentlicht wurde, fassten Wissenschaftler zusammen, wie effizient die Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren bei der Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs im Vergleich zur bisher üblichen Chemotherapie ist. Bei allen schritt der Tumor nach einer ersten Behandlung weiter voran. Die Patienten erhielten daraufhin entweder eine Chemotherapie oder eine Immuntherapie mit einem Checkpoint-Inhibitor. Die Checkpoint-Inhibitoren-Therapie zeigte ein längeres Gesamtüberleben im Vergleich zur Chemotherapie, wenn bestimmte Tumormerkmale vorlagen. In der Zweittherapie bei Patienten mit fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs können also Checkpoint-Inhibitoren im Vergleich zur Chemotherapie die Überlebenschancen verbessern, so die Schlussfolgerung der Studienautoren.

Die Immunonkologie befinde sich mittlerweile in der dritten Welle, erklärte Thomas Büchele, medizinischer Leiter für Hämatologie und Onkologie beim Pharma-Konzern Roche, auf dem ASCO-Kongress in Chicago der Deutschen Presse Agentur. „Während es in der ersten Welle vor allem noch um den Einsatz von Immuntherapeutika als Monotherapie ging, befasste sich die zweite Welle dann schon mit Kombinationen aus Immuntherapie plus Standardtherapie.“ In der aktuellen dritten Welle würden nun auch Immuntherapeutika miteinander kombiniert. Dabei versuche man, die Reaktion des Immunsystems auf eine breitere Basis zu stellen. „Unter dem Strich kann man auch sagen, dass sich die dritte Welle noch stärker in Richtung personalisierte Medizin fokussiert, also auf den jeweiligen Patienten zugeschnittene Therapien.“

Bei personalisierten Therapien ist eine Grundvoraussetzung, dass der Tumor klassifiziert werden kann. Hier ist die molekulare Pathologie gefragt. Sie erfasst die Veränderungen im Tumor, die sich auf einzelne Mutationen in seiner Erbsubstanz zurückführen lassen. Mittlerweile gibt es bei einigen Tumorarten, etwa beim Lungenkarzinom oder beim Darmkrebs, gute Beispiele dafür, wie eine Analyse der Erbsubstanz im Tumor diejenigen Patienten identifizieren kann, die auf ein bestimmtes zielgerichtetes Medikament voraussichtlich gut ansprechen, so Prof. Dr. Christoph Röcken, Pathologe aus Kiel, auf dem Deutschen Krebskongress in Berlin. Prof. Dr. Peter Albers, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, forderte: „Damit Krebspatienten optimal von solchen Verfahren profitieren können, brauchen wir die enge Zusammenarbeit verschiedener Experten, zum Beispiel aus Chirurgie, Strahlentherapie, medikamentöser Tumortherapie, Pflege und Psychoonkologie.“

Um eine hohe Qualität der Krebstherapie auf dem neuesten Stand der Forschung zu gewährleisten, sei interdisziplinäre Zusammenarbeit, Behandlungserfahrung und eine Ausrichtung der Therapie an den Empfehlungen aktueller onkologischer Leitlinien notwendig, erklärten die Veranstalter auf dem Deutschen Krebskongress 2018. Nur Kliniken, die diese Kernanforderungen erfüllten, würden von der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Krebshilfe zertifiziert.

Vielversprechend, aber noch kein Standard in der Krebstherapie, ist das Impfen mit einem sogenannten „Tumor-Antigen“ – Merkmale, die typisch für Krebszellen sind und auf gesunden Körperzellen gar nicht oder nur in anderer Form oder Häufigkeit vorkommen. Auf solche Antigene soll das Immunsystem angesetzt werden und Zellen vernichten, die diese Merkmale tragen. Geimpft wird dabei entweder mit Teilen von Krebszellen. Oder man verändert Immunzellen außerhalb des Körpers und trainiert sie sozusagen im Reagenzglas. Diese Zellen sollen dann – zurück im Patienten – den Tumor bekämpfen und/oder weitere Immunzellen aktivieren. Da dies erst geschieht, wenn der Krebs schon ausgebrochen ist, bezeichnet man die Behandlung als therapeutische Impfung.

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