Medizin der Zukunft

Die Redaktion befragt Akteure zu aktuellen Entwicklungen auf dem Gesundheitsmarkt.
Oktober 2018 Die Zeit Zukunft Medizin

»Die Zukunft der Medizin ist digital.«

Joachim M. Schmitt Geschäftsführer und Vorstandsmitglied ; Bundesverband Medizintechnologie (BVMed)

Die Zukunft der Medizin ist digital. Das spiegelt sich aber noch nicht in den Erstattungsstrukturen der Gesundheitsversorgung wider. Der BVMed spricht sich deshalb für neue Zugangswege für digitale und telemedizinische Anwendungen aus und schlägt als zusätzlichen Versorgungsbereich „Digitale Medizin“ vor. Dafür sind besondere Evaluationen erforderlich, die den Besonderheiten von Digital Health entsprechen. Digitalisierung im Gesundheitswesen kann die Patientensteuerung zwischen den Sektoren verbessern. Dieser Schatz muss gehoben werden. Sie kann aber auch als eigener Versorgungsbereich neue Patientenpfade gestalten und diese durch digitale Produkte und Services mit eigener Vergütung verbessern.

 

Mit digitalen Medizinprodukten entsteht eine neue Kategorie von Medizinprodukten, die in die ärztliche Therapie eingreifen, indem sie selbst therapeutische Empfehlungen geben. Eine „Modellkrankheit für die Digitalisierung“ könnte Diabetes sein, da betroffene Patienten ständig messen und Daten erheben. Das erste geschlossene System für Blutzucker-Messung und Insulin-Gabe befindet sich in den USA bereits auf dem Markt und wird zeitnah auch nach Deutschland kommen. Diabetes-Patienten erhalten ein größeres Maß an Autonomie, wenn sie sich mit den digitalen Medizinprodukten auseinandersetzen.



Die digitale Transformation verändert insgesamt Prozesse und ermöglicht Ziele und Strategien, die zuvor unmöglich waren. Dies geht nur mit gegenseitigem Vertrauen in diese Entwicklungen – und dazu gehört auch ein zielführender Datenschutz. Um Gesundheitsdaten versorgungs- und forschungsorientiert nutzbar zu machen, sind Regelungen zur sicheren Erhebung und Verwendung dieser Daten notwendig. Wir plädieren für die Einrichtung eines akteurübergreifenden Gremiums, das die Anforderungen hieran definiert.

 

www.bvmed.de

Oktober 2018 Die Zeit Zukunft Medizin

»Ärzte benötigen zuverlässige Informationen über ihre Patienten.«

Alexander Beyer Geschäftsführer ; gematik Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH

Wer kennt das nicht: Der Hausarzt hat zum Facharzt überwiesen. Dieser übergibt seinen Behandlungsbericht mit der Aufforderung, ihn beim nächsten Termin dem Hausarzt auszuhändigen. Beim nächsten Arztbesuch stellt man fest, dass der Bericht vergessen wurde. Also ab nach Hause, Bericht holen und bei der Praxis vorbeibringen. Dort wird das Schreiben digitalisiert, damit es in der Praxissoftware zur Verfügung steht. Damit das bald der Vergangenheit angehört, haben wir die Telematikinfrastruktur aufgebaut. Bundesweit sind Praxen und Krankenhäuser inzwischen an das Netz angebunden. Nur so kann etwa die E-Patientenakte zügig eingeführt werden, die den Praxisalltag erleichtern wird. Denn Ärzte und andere Heilberufler benötigen schnell und zuverlässig Informationen zur bisherigen Diagnose und Therapie des Patienten. Dafür müssen die Akten verschiedener Anbieter funktional, flächendeckend verfügbar und untereinander interoperabel sein.

 

Der Schutz sensibler Daten hat in der Telematikinfrastruktur die höchste Priorität. Im öffentlichen Fokus stand in letzter Zeit die Frage, ob die Gesundheitskarte noch zeitgemäß ist – obgleich Smartcards nach wie vor als sicherstes Mittel für Prozesse gelten, bei denen Daten mit höchstem Schutzbedarf verarbeitet werden. Bei der E-Patientenakte wird die Karte auch künftig ihre authentifizierende Rolle einnehmen. Was aber nicht ausschließt, dass sich zusätzliche Verfahren etablieren – wenn diese ein vergleichbares, anerkanntes Sicherheitsniveau aufweisen. Letztlich sollten Patienten für sich entscheiden können, welches Mittel für sie handhabbar und akzeptabel ist. Alle Beteiligten sollten sich damit beschäftigen, wie Daten in Zeiten von Smartphone und Co. bestmöglich geschützt werden und zugleich Patienten einen Datenzugriff unabhängig von einem Arzt haben. Daran arbeiten wir von der gematik bereits.

 

www.gematik.de

Oktober 2018 Die Zeit Zukunft Medizin

»Die Zeit der Gentherapien ist gekommen.«

Dr.Siegfried Thom Geschäftsführer Forschung ; des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen ;(vfa)

Nach Jahrzehnten der Forschung und Entwicklung ist ihre Zeit gekommen: Gentherapien helfen Patienten durch genetische Veränderungen in bestimmten Zellen ihres Körpers – und das meist bereits nach einmaliger Anwendung. Ein Einsatzgebiet für Gentherapien ist, ererbte Gendefekte auszugleichen. So können seit kurzem Kinder mit der lebensbedrohlichen Immunschwäche ADA-SCID durch Gentherapie ein wehrhaftes Immunsystem entwickeln. In Kürze dürfte sich auch eine frühkindliche Netzhautstörung, die zu Erblindung führt, gentherapeutisch lindern lassen. In Erprobung oder im Zulassungsverfahren sind unter anderem Gentherapien gegen erbliche Blutgerinnungsstörungen, spinale Muskelatrophie (eine Form von Lähmung) und Beta-Thalassämie, die ständige Bluttransfusionen erfordert.
 

Gentherapeutisch lässt sich aber auch Krebs bekämpfen: Immunzellen des Patienten werden entnommen und im Labor um ein Gen ergänzt, das sie befähigt, bestimmte Krebszellen zu erkennen. Die getunten Immunzellen, CAR-T-Zellen genannt, werden dann dem Krebspatienten verabreicht, damit sie dessen Tumorzellen aufspüren und zerstören. Dies ist nicht immer wirksam und auch zeitweilig mit schweren Nebenwirkungen verbunden; aber wenn es gelingt, kann eine einmalige Behandlung den Krebs jahrelang in Schach halten oder sogar eliminieren. Zugelassen wurde diese Therapieform kürzlich für bestimmte Patienten mit Lymphknotenkrebs und Kinder mit Leukämie Typ ALL. Forschende Pharma-Unternehmen erproben derzeit, ob sich weitere Krebsarten so behandeln lassen. Damit trägt die Beharrlichkeit der Gentherapie-Forscher in Forschungseinrichtungen und Industrie allmählich Früchte. Die Zahl der Patienten, die tatsächlich so behandelt werden können, wird allerdings auf absehbare Zeit überschaubar bleiben.
 

www.vfa.de