Abenteuer vor der Tür

Wer Fahrrad fährt, hält sich fit, schont die Umwelt und erlebt die Umgebung besonders intensiv. Kein Wunder, dass der Urlaub auf zwei Rädern immer beliebter wird.
Illustration: Constanze Behr
Olaf Strohm Redaktion

Wir trafen sie an einem verstaubten Bahnhof am Rande des Städtchens Sihanoukville, im Süden von Kambodscha. Sieben Stunden hatte sie auf dem Dach eines Eisenbahnwaggons gesessen, um mit dem völlig überfüllten Zug mitzukommen. Sieben Stunden unter brennender Sonne, umgeben von Familien mit vielen Kindern, die ihr Essen mit ihr teilten. Als sie von dem Waggon herunterkletterte, lachten weiße Zähne aus einem sonnenverbrannten Gesicht. „Na, seid ihr ooch Ossis?“, begrüßte sie uns in breitem Berlinerisch.


Und jetzt kam es: Drei Männer zogen vorsichtig einen stählernen Apparat aus dem Gepäckwagen des Zuges. Es war ein Trekking-Bike, mit zwei Fahrradtaschen, darüber eine professionelle Gepäcktasche. Ein Mann fuhr ehrfüchtig mit seinem Finger über den Kettenschutz. Unter einer dicken Staubschicht blitzte Chrom auf.


Die junge Frau war allein durch Vietnam und durch Laos geradelt. Jetzt gerade kam sie aus dem malariaverseuchten Norden Kambodschas, sie wollte weiter in Richtung Thailand. Ein halbes Jahr war sie schon unterwegs. Unterwegs war sie von einem Mitglied der königlichen Familie beherbergt worden, musste aus einer Karaoke-Bar flüchten und hatte von einem buddhistischen Mönch eine private Führung durch Angkor Wat erhalten.


„Wer mit dem Fahrrad unterwegs ist, erlebt mehr.“ Das hatte sie gesagt. Man muss aber nicht mit dem Fahrrad durch Asien fahren, um mehr zu erleben. Europa reicht da völlig aus. Oder Bayern, das Münsterland, die Elbe, Baden-Württemberg oder Nord- und Ostsee. Deutschland ist unter Radlern aus aller Welt beliebt. Kein Wunder: Kaum woanders gibt es eine derart gute Infrastruktur und derart reizvolle Routen.


Das weiß am besten der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club ADFC, der beinahe jedes Jahr neue Rekorde im Fahrradtourismus vermeldet. Laut seiner aktuellen „Radreiseanalyse“ stiegen im vergangenen Jahr 5,5 Millionen Deutsche aus touristischen Gründen aufs Fahrrad, das sind rund acht Prozent der Gesamtbevölkerung. Die höchste jemals verzeichnete Zahl. Dabei erweist sich Radfahren als besonders nachhaltige Art, den Urlaub zu verbringen. „Radurlaub rauf – CO2 runter“, so der ADFC-Slogan. 


Das Lieblingsziel der Radler liegt nicht weit weg von zu Hause, und sie erreichen ihre Zielregion besonders häufig mit der umweltfreundlichen Bahn. Schon fast ein Viertel nutzen für ihre Fahrradtour E-Bikes oder Pedelecs, mit steigender Tendenz. Besonders gefragt sind eigens ausgebaute Radstraßen, die abseits vom Autoverkehr sicheres Fahren, Ruhe und gute Luft ermöglichen und durch landschaftlich reizvolle Gegenden führen.


Dass der Weser-Radweg erstmals auf Platz eins der beliebtesten Radfernwege Deutschlands landete, sei kein Zufall, erklärt ADFC-Tourismusexpertin Louise Böhler. „Radfahrende wollen auch im Urlaub auf gut ausgebauten, breiten Radwegen unterwegs sein. Sie wünschen sich sichere Infrastruktur, gute Beschilderung, leicht verfügbare Informationen über die Route und – nicht zuletzt – ein einmaliges Reiseerlebnis. All das bietet der Weser-Radweg.“


Auf Platz zwei und drei im Ranking der beliebtesten Radfernwege folgen der Elbe-Radweg – und der Ruhrtal-Radweg. Wer immer noch glaubt, das Ruhrgebiet sei eine Industrieregion mit rußigen Schloten und grauen Fabriken, den dürfte eine Fahrt auf dem Ruhrtal-Radweg eines Besseren belehren. Die Tour geht durch üppige Auen, vorbei an romantischen Dörfern und urigen Gaststätten. Industriekultur gehört natürlich auch dazu, oft wurden alte Fabriken in Denkmäler oder kulturelle Attraktionen umgewidmet, die neue Entdeckungen versprechen.


Der beliebteste Radfernweg im Ausland ist der Donau-Radweg, der Passau und Wien verbindet. Es folgt die Via Claudia Augusta, der Fernradweg, der über die Alpen von Donauwörth bis nach Venedig führt. Wer das Abenteuer in der Ferne sucht, kann ein Rad vor Ort mieten – oder das eigene Fahrrad im Flugzeug mitnehmen. Bei einigen Fluggesellschaften zählt das Fahrrad zum normalen Freigepäck und ist somit kostenlos, bei anderen fällt es unter Sondergepäck. Generell gilt: Pedale abschrauben oder nach innen drehen und den Lenker quer stellen, die Luft aus den Reifen ablassen. Das Vorderrad abmontieren und an dem Rahmen anbringen und das Fahrrad in einem Fahrradkoffer oder einen Karton verpacken.


Als einer der schönsten Radwege Europas gilt die Via Algarviana, an der Südküste Portguals. Ursprünglich ein Öko-Wanderweg, wurde sie von lokalen Radsportfans zur Fahrradroute für Mountainbiker erweitert. Sie erstreckt sich über das Hinterland der Algarve bis auf die bewaldeten Hügel der Serra de Monchique, um dann wieder hinab zu einer Traumbucht zwischen mächtigen Klippen zu führen. Einer der spektakulärsten Radfernwege ist der Trans Canada Trail. Er führt von der Ostküste Kanadas bis zur Westküste, über knapp 18.000 Kilometer, davon ein Großteil durch unberührte Wildnis. 

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