Nachhaltig Reisen – geht das?

Immer mehr Menschen fliegen immer weitere Strecken, an ihren Zielorten bilden sie immer größere Gruppen auf beschränktem Raum. Die Besucher verbrauchen Ressourcen, sie produzieren Lärm und belasten die Infrastruktur.
Illustration: Constanze Behr
Interview: Mirko Heinemann Redaktion

Das führt an manchen Orten bereits dazu, dass Einheimische die Gäste ablehnen. Was können Städte und Regionen unternehmen, damit es nicht so weit kommt? Wie können Besucherströme gesteuert werden? Und was kann der einzelne Reisende tun, um Situationen zu entschärfen, wie kann er nachhaltig und verantwortungsvoll reisen? Ein Gespräch mit Dr. Harald Zeiss, Professor für Tourismusmanagement und Betriebswirtschaft an der Hochschule Harz in Wernigerode und Experte für nachhaltigen Tourismus.

 

Herr Zeiss, immer mehr Destinationen haben mit „Overtourism“ zu kämpfen, wie Touristiker sagen. Sie leiden unter zu vielen Gästen. Gibt es zu viele Touristen?
Ob es zu generell zu viele Touristen gibt, lässt sich nicht sagen. Das kommt auf den Zusammenhang an. Bei einem Konzert oder Festival beispielsweise können ja nicht genug Menschen an einem Ort zusammenkommen. In der Natur hingegen möchte man lieber alleine sein. Und in der Stadt werden Touristen bis zu einem gewissen Grad akzeptiert, aber irgendwann sind es eben zu viele. Beziffern lässt sich das nicht. Overtourism ist eine Frage der emotionalen Wahrnehmung.

 

Barcelona wehrt sich gegen Touristen mit Beschränkungen, Venedig will künftig ein Eintrittsgeld verlangen. Ist hier eine Grenze erreicht?
Venedig hat sicherlich zu bestimmten Zeiten Overtourism, etwa im Sommer an den Wochenenden. Das bedeutet aber nicht, dass insgesamt zu viele Touristen in die Stadt kommen. Es ist eine Frage der Steuerung. Ein Museum zum Beispiel kann den Andrang steuern, indem es morgens einen geringeren Eintritt nimmt als nachmittags. Oder, indem es attraktive Angebote außerhalb der Highlights schafft. Wie im Louvre, das die Besucher weg von der Mona Lisa lenkt, hin zu attraktiven anderen Ausstellungen. Man kann auch effizientere Strukturen schaffen.

 

Zum Beispiel?
Der Loro Parque auf Teneriffa hat in seinem Pinguinhaus eine halbrunde Wand aus Glas installiert. Besucher betreten ein Rollband, das sie in angenehmer Geschwindigkeit einmal an der Glasscheibe entlang führt. So hat jeder einmal das gesamte Pinguinhaus gesehen, und niemand muss sich nach vorn drängeln. Jeder hat ein Maximum an Erlebnis.  

 

Die Vorstellung, dass wir demnächst Sehenswürdigkeiten von Rollbändern aus betrachten müssen, finde ich ein bisschen gruselig.
Dann müssen Sie sich Orte aussuchen, die abseits der Touristenströme liegen. Das wird allerdings immer schwieriger. Im vergangenen Jahr gab es 1,4 Milliarden Auslandsreisen, das waren 5,5 Prozent mehr als im Jahr davor. In den nächsten zehn, 20 Jahren wird mit weiterem Wachstum in dieser Größenordnung gerechnet. Das hat unter anderem auch mit dem Herkunftsmarkt China zu tun, dessen Wohlstand schnell wächst. Viele Reisende aus China sind schon da, viele weitere werden noch kommen. Ich sehe keinen Sinn darin, gegen die Besucher anzukämpfen. Jeder sollte willkommen sein.  

 

Sie sagen, man müsse die Touristenströme steuern. Aber wie?
Eintrittsgelder sehe ich durchaus als Möglichkeit an. Wir in Deutschland kennen das Prinzip ja schon von unserer Kurtaxe. Jeder Besucher muss sie entrichten, ganz gleich, ob er die dazu gehörigen Leistungen in Anspruch nimmt oder nicht. Das sind also faktisch Eintrittsgelder. Und wenn diese Gelder dazu verwendet werden, um in Infrastruktur, Kultur und Natur zu investieren und die negativen Auswirkungen der Besucher zu beseitigen, bietet man den Einheimischen einen Mehrwert. Dann lindert man den Druck und kann sicherlich auch noch Wachstumspotenziale erschließen.   

 

Kann die Digitalisierung dabei helfen?
Sicherlich. In Berlin gibt es zum Beispiel die Berlin History App. Man kann auf einer Karte sehen, welche Gebäude oder Denkmäler sich in Berlin befinden – und zwar nicht nur in der Innenstadt, sondern auch in den Randgebieten. Das schafft den Anreiz, auch mal rauszufahren und zu schauen: Was kann ich dort erleben? Oder Besucherströme zu lenken: Ein Museum kann auf seiner App die aktuelle Wartezeit vermelden und prognostizieren, zu welcher Tageszeit die Wartezeit besonders kurz ist. Dann stellt man sich als Besucher darauf ein. Das Museum könnte den Andrang aber auch über den Preis steuern. Entsprechende Informationen könnte es etwa durch Empfehlungen für ähnliche Attraktionen ergänzen, die von Besuchern ebenfalls gut bewertet wurden und wo die Eintrittspreise vielleicht jetzt besonders niedrig sind.

 

Mit Instagram-Lockbildern, Smartphone-Apps und transparenten Bewertungssystemen werden Enttäuschungen vermieden, aber auch echte Entdeckungen werden seltener. Ist es wirklich das, was Reisende heute wollen?
Für viele gehört es zu den Erlebnissen einer Reise, Menschen kennenzulernen oder im Restaurant etwas Besonderes zu essen. Die Transparenz kann hier das Urlaubserlebnis deutlich verbessern. Die Zeiten, in denen man mit dem Rucksack und der Landkarte durch Südamerika getrampt ist, ohne Handy und jeden Kontakt zur Familie zu Hause, sind vorbei. Ich habe es letztens in Vietnam mal wieder versucht und bin einfach aufs Geratewohl in ein Restaurant gegangen – und prompt war es schlecht. Ich habe dann nachgeschaut, und, na klar, bei Google war es dann auch noch negativ bewertet. In Zukunft werden Produkte und Dienstleistungen auf der einen Seite und die Kundenerwartungen auf der anderen Seite immer mehr zusammengeführt, und dazu dienen auch die digitalen Hilfsmittel wie Smartphone, Virtual Reality, Big Data. Bei uns allen wird im Gegenzug die Bereitschaft, Unzulänglichkeiten zu akzeptieren, weiter sinken.

 

Wie lässt sich das Reisen nachhaltiger gestalten?
Eine gute Reiseplanung kann schon positiven Einfluss auf die Nachhaltigkeit haben. Nehmen wir mal das negative Beispiel: drei Tage Christmas-Shopping in New York. Das ist natürlich nicht nachhaltig. Das ist zeitlich zu kurz, die Strecke ist zu weit, und shoppen kann man auch woanders. Wenn wir jetzt mal den Reisegrund außen vorlassen, würden wir grundsätzlich raten: Auf Flugreisen, so weit es geht, verzichten. Wenn man die weite Welt kennenlernen will, geht das aber nicht. Dann gilt: Lieber pro Jahr nur eine Flugreise und dafür länger verreisen als zwei Flugreisen mit kürzerer Aufenthaltsdauer. Dazu empfiehlt sich, Kontakt zu Land und Leuten zu suchen, so viele Eindrücke wie möglich zu sammeln und guter Botschafter seines Landes zu sein. Denn insbesondere der soziokulturelle Aspekt des Reisens, also der Beitrag zum Frieden, wird immer wieder ins Feld geführt, wenn Kritiker fordern, man müsse das Reisen verbieten. Und da müssen wir schauen, dass wir als Reisende selbst in der Verantwortung bleiben.

 

Was kann der Einzelne tun?
Ich glaube, die meisten Menschen wissen schon intuitiv, worauf es ankommt. Vielleicht muss ja der Strandurlaub im Sommer nicht in der Karibik stattfinden, sondern am Mittelmeer oder, wenn der Sommer wieder so gut wird wie im vergangenen Jahr, vielleicht auch an der heimischen Nord- oder Ostsee. Da ist der ökologische Fußabdruck viel kleiner und man kann sich genauso gut erholen wie in der Ferne. Aber auch mit Ressourcen vor Ort kann man bewusst umgehen: Wo man sieht, dass Wasser eine wertvolle Ressource ist, weil es eben nicht überall üppig grün ist, da sollte man seinen Wasserkonsum entsprechend einschränken und sorgsam mit der Ressource umgehen.

 

Beobachten Sie auch in der Branche ein Umdenken?
Mancherorts, ja. Immer mehr Hotels stellen auf eine ressourcensparende Wirtschaft um und lassen sich entsprechend zertifizieren. Die Teller werden kleiner, damit man sich nicht so viel Essen auflädt und weniger im Müll landet. Mallorca denkt über die Umstellung der Mietwagenflotte auf E-Mobilität nach. Das größte Problem derzeit ist das schnelle Wachstum, das jede Nachhaltigkeitsbestrebung wieder neutralisiert. Wir werden lernen müssen, die Nachhaltigkeitsfragen, die sich aus dem Tourismus ergeben, zu beantworten. Sonst wird uns diese Welt, wie wir sie heute haben, nicht erhalten bleiben.

 

 

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