Bezahltradition im Umbruch

Das mobile und kontaktlose Bezahlen ist in Deutschland ein Nischenprodukt. Das könnte sich jetzt ändern.
 Illustration: Friederike Olsson
Illustration: Friederike Olsson
Mirko Heinemann Redaktion

An der Kasse werden 12,99 Euro angezeigt. Der Käufer zückt sein Smartphone, entsperrt es und hält es nahe an das Kartenlesegerät. Ein Piepton: bezahlt. Coole Sache, das. Der Haken: Diese Szenerie spielt sich nur in wenigen, ausgewählten Geschäften ab. Oder im Ausland. Wer einmal nach Schweden gereist ist, weiß, dass dort beinahe alles mit mobilen Geräten bezahlt werden kann. Deutschland hingegen ist das Land des Bargelds. Ob im Café, im Restaurant, im Geschäft oder im Supermarkt: Der Deutsche zahlt am liebsten Cash.

Deutsche Einzelhändler machen ihre Mobile-Pay-Experimente daher lieber im Ausland. Saturn etwa hat den ersten kassenlosen Markt Europas im österreichischen Innsbruck eröffnet. Dort können Kunden das gewünschte Produkt direkt am Regal bezahlen. Möglich ist dies durch eine App, die den Preis der Waren scannt. Der Bezahlvorgang wird über die Kreditkarte oder Paypal abgewickelt. Mit der Bezahlung wird automatisch auch die Diebstahlsicherung deaktiviert.

In Deutschland setzen immerhin zahlreiche Banken auf die Ausgabe von Karten mit Chip für den sogenannten NFC-Standard, der „Near Field Communication“, mit denen kontaktlos bezahlt werden kann. Doch sollte sich in Deutschland etwas grundlegend an der Bezahltradition ändern, dann könnte dies genau jetzt passieren: Denn mit Google Pay ist Ende Juni hierzulande die erste große mobile Bezahllösung für das Smartphone an den Start gegangen. Und da sie von einem der größten Internetkonzerne der Welt stammt, reden alle darüber.

Auch Google Pay funktioniert auf Basis des NFC-Standards. Wer ein Smartphone besitzt, das diesen Standard unterstützt und als Betriebssystem mindestens Android 5.0 aufgespielt hat, kann sich bei Googles App-Store Play die entsprechende App herunterladen. In Verbindung mit einer Kreditoder Bankkarte und einem Konto bei den Partnerbanken kann es losgehen. Vorausgesetzt, der Händler ist bereits mit einem entsprechend ausgerüsteten Endgerät ausgestattet. Das erkennt der Kunde am NFC-Logo auf dem Kartenscanner.

Bezahlt wird einfach mit dem Smartphone. Es wird in die Nähe des Scanners gehalten, bis ein grüner Haken auf dem Display aufleuchtet: bezahlt. Wer für weniger als 25 Euro einkauft, muss das Smartphone nicht einmal entsperren. Zu den ersten, die Google Pay unterstützen, gehören Aldi Süd, Lidl, Kaufland, Hornbach, MediaMarkt und Saturn sowie McDonald’s.

Google Pay ist vielleicht der bekannteste, aber beileibe nicht der erste Anbieter einer solchen Lösung in Deutschland: Neben den mobilen Bezahlsystemen der Postbank, neben Boon und Glase und den zahlreichen Apps des Einzelhandels, sind inzwischen auch die Fidor-Bank mit Fidor Pay und Garmin Pay hierzulande am Start. Bei Fidor Pay können beliebige Android-Handys mit NFC-Funktion und installierter Fidor-Banking-App eingesetzt werden. Garmin hingegen setzt auf die hauseigenen Smartwatches als Bezahlgerät.

Hinter Garmin Pay steht eine Kooperation des Herstellers mit Mastercard und der Banking-App Vimpay des Bezahldienstleisters Petafuel. Hier benötigen Nutzer zunächst die Vimpay-App auf einem Mobil-Gerät, müssen dort einen Account erstellen und die Garmin-Pay-Funktion aktivieren. Dann erhalten sie eine digitale Prepaid-Mastercard, die sie wiederum in der Garmin Connect Mobile-App hinterlegen müssen. Die digitale Kreditkarte ist dann noch von einem bestehenden Bankkonto aus mit Guthaben zu bestücken, was sich über die Vimpay-App anstoßen lässt. Dann erst kann man mit der Uhr kontaktlos an der Kasse zahlen.

Mit Google Pay wird es in Deutschland einen Schub geben, da sind sich Experten einig. Ein zweiter Schub wird erwartet, wenn voraussichtlich im Herbst auch der große Konkurrent Apple mit seinem Dienst in Deutschland an den Start gehen wird. Dies führt noch einmal vor Augen, wie stark die großen Konzerne das Innovationsgeschehen im Finanzsektor bestimmen. Das ist typisch für das Geschäftsmodell der Internet-Plattform, das einfach skalierbar ist. Besonders erfolgreich ist, wer bereits eine große Community hinter sich geschart hat.

Die Sparkassen machen bei Google Pay nicht mit, jedenfalls noch nicht. Eine eigene S-App für mobiles Bezahlen mit dem Android-Smartphone soll am 30. Juli freigeschaltet werden. Im Play-Store ist sie bereits zu sehen. Sparkassenkunden müssen für das Online-Banking angemeldet sein, anschließend wird in der App ausgewählt, welche der dem Konto zugeordneten Karten für das kontaktlose Zahlen mit dem Smartphone verwendet werden soll. Anders als bei Google Pay geht das bei der Sparkasse auch mit der Girokarte, nicht nur mit Kreditkarten.

Weil die Sparkassen ihren eigenen Weg gehen, werden sie mit Google Pay erst einmal nicht kooperieren, so das Online-Portal Heise. Zwar habe der Deutsche Sparkassen- und Giroverband DSGV eine Zusammenarbeit mit Google kürzlich als „keine Option“ bezeichnet, doch sei „die Tür da offenbar noch nicht ganz zu“. Es gebe zwar keine konkreten Gespräche, aber ganz ausschließen wollten die Sparkassen eine Öffnung für Google auch nicht.

So sehr man Monopole wie das der US-amerikanischen Digitalkonzerne ablehnen mag, so unpraktisch ist die Diversifizierung beim Thema Mobiles Bezahlen für den Kunden. Ein Szenario, das ihm in Zukunft an der Kasse drohen könnte, hat ein potenzieller User im Netz schon mal entworfen: „Macht 3,99 Euro.“ Piep. „Entschuldigung, Google nehmen wir nicht.“ „Boon?“ „Nein, aber S-Pay.“ „Haben wir nicht. Dann bitte in bar.“ So kann der Sinn des mobilen Bezahlens verlorengehen.

In Deutschland geht in Sachen Digitalisierung alles eben ein bisschen behäbiger. In London hingegen arbeitet man an einem System, mit dem Straßenmusiker kontaktlos per Smartphone bezahlt werden können. Die Künstler benötigen dafür ein Lesegerät des schwedischen Unternehmens iZettle, das sie dann auf einen festen, kleinen Betrag einstellen. Passanten können den Musikern dann per mobiler Debitkarte oder Smartphone den vorgegebenen Betrag zukommen lassen. Wer mehr spenden will, bezahlt einfach mehrfach.

Hinter der Idee steckt der liberale Bürgermeister Sadiq Khan, der den Status seiner Stadt als „globale Hauptstadt der Musik“ halten möchte. Dazu, so Khan, sei es von entscheidender Bedeutung, die Stars von morgen zu unterstützen. Die Hoffnung: Wer kontaktlos bezahlen kann, dem sitzt das Geld ein wenig lockerer in der Tasche.

 

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