Sprung in ein neues Zeitalter

In der nächsten industriellen Revolution wachsen die physische und die digitale Welt immer weiter zusammen. Unternehmen können von der Industrie 4.0 in vielerlei Hinsicht profitieren.
Illustration: Zully Kostka
Klaus Lüber Redaktion

In einer modernen Fertigungshalle steht ein 3D-Drucker. Über eine IT-Schnittstelle spielt er laufend Daten aus. Diese werden von einer Software mit einem virtuellen Abbild der Maschine verknüpft. Auf einem Touchmonitor oder Smartphone sieht ein Arbeiter das animierte Modell der Maschine und kann mit diesem interagieren. Ein Klick auf das Heizbett genügt, um sich die Temperatur anzeigen zu lassen. Auch der Füllstand und die Koordinaten des Druckkopfes können ausgelesen werden. Hat der Arbeiter eine Datenbrille auf, berührt er die entsprechende Stelle einfach an der realen Maschine und bekommt die Daten auf seinem Augmented-Reality-Display angezeigt.


So beschreibt das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) seine IT-Lösung namens InsideOut. Zu sehen ist sie im Future Work Lab in Stuttgart, einer Art Show Room für die Digitale Transformation der Produktion, das das IPA zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart betreibt. Weitere Features der Software beschreibt Jonas Gutjahr, Wissenschaftler am Fraunhofer IPA, gegenüber produktion.de. So sei es möglich, Informationen zu filtern und bedarfsgerecht anzeigen zu lassen. „Einem Instandhalter werden Fehlermeldungen angezeigt, einem Geschäftsführer Produktivitätskennzahlen und einem Maschinenbauer die Bedienungsanleitungen.“ Dadurch seien weniger Rückfragen notwendig. Zukünftig sei auch denkbar, so Gutjahr, einen Alarm einzubauen und den Nutzer zu warnen, wenn bestimmte Grenzwerte über- oder unterschritten werden.

 

Integration der digitalen Welt

 

Die Verschmelzung von realer und virtueller Welt, darum geht es bei der sogenannten vierten industriellen Revolution, oder kurz Industrie 4.0, seit diese 2011 auf der Hannover Messe ausgerufen wurde. Professor Henning Kagermann, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und einer der Experten, die den Begriff damals prägten, erinnert sich: „Nach der Wirtschaftskrise, die Deutschland ja relativ unbeschadet überstanden hatte, war klar: Wir haben das unserer Stärke im Bereich der industriellen Produktion zu verdanken. Also wollten wir ein Zukunftsprojekt starten, das uns die Wettbewerbsfähigkeit in diesem Bereich sichert. Das war Industrie 4.0.“


Seither tüfteln deutsche Forschungseinrichtungen und Unternehmen intensiv am Einsatz digitaler Technologien in der Produktion. Implementiert hat sie beispielsweise Siemens in seinem Werk im fränkischen Amberg. Dort kann der Werksleiter den gesamten Produktionsprozess überwachen. Dazu ist jedes Bauteil einzeln identifizierbar. Beispielsweise wird festgehalten, wann was in welcher Maschine bei welcher Temperatur gelötet wurde oder welches Drehmoment die Maschine gerade hatte. So kommen jeden Tag mehr als 50 Millionen Datensätze zusammen. Die Daten werden live ausgewertet und die Produktion umfassend analysiert. Die Prozessqualität im Werk liegt bei 99,9988 Prozent.


Daten können aber nicht nur dazu verwendet werden, Produktionsprozesse zu optimieren, sondern ermöglichen auch die Entwicklung neuer Produkte und Geschäftsmodelle. Zu sehen zum Beispiel in der sogenannten Speedfactory des Sportartikelherstellers Adidas im fränkischen Ansbach. In der vollautomatisierten, von Robotern geführten Fabrik werden die Daten der späteren Nutzer dafür verwendet, die Schuhe in der Produktion optimal an die Designvorstellungen und anatomischen Eigenheiten der Träger anzupassen. Durch die direkte Umsetzung vom Entwurf in die digitalisierte Fertigung, auch unter dem Einsatz von 3D-Druckern, verkürzt sich die Produktionszeit in der Schuhherstellung dramatisch. Das macht Adidas hochflexibel in der Reaktion auf sich verändernde Kundenwünsche.
Ein hohes Transformationspotenzial messen Experten auch der Medizinbranche zu. „Die Analyse von Daten könnte es schon sehr bald möglich machen, bestimmte Krankheiten ganz neu zu interpretieren. Vielleicht verstehen wir dann, dass es sich bei dem einen oder anderen Leiden in Wirklichkeit um viele einzelne Krankheiten handelt – die wir dann natürlich jeweils viel intensiver mit eigens dafür entwickelten Medikamenten behandeln können“, so Key Pousttchi, Professor für Wirtschaftsinformatik und Digitalisierung an der Universität Potsdam.


Dazu muss man die Daten allerdings nicht nur im großen Stil sammeln, sondern am Ende natürlich auch richtig interpretieren. Und deshalb kommt an dieser Stelle eine weitere wichtige technische Entwicklung ins Spiel: Künstliche Intelligenz. Gemeint sind sogenannte Machine-Learning-Systeme, die so lange mit gigantischen Bergen an Informationen gefüttert werden, bis sie zu komplexen Mustererkennungsprozessen fähig sind. In der Medizin führt das zu Anwendungen wie etwa der Identifizierung von Augenkrankheiten via 3D-Scans. Die Google-Schwester Deepmind hat eine Anwendung entwickelt, die in diesem Bereich schon jetzt genauso gut arbeitet wie ein Facharzt. Lernende Algorithmen werden inzwischen auch zur Hautkrebserkennung eingesetzt und weisen dort inzwischen sogar eine höhere Trefferquote auf als Fachärzte, wie ein Team der Uni Heidelberg vor kurzem gezeigt hat.

 

Künstliche Intelligenz in der Industrie

 

Dezidiert industrielle Einsatzmöglichkeiten für KI sind beispielsweise die Überwachung von Energieübertragungs- und -verteilnetzen. Mit ihrer Hilfe werden Netzlasten und Einspeisung regenerativer Energien prognostiziert. Auch bei der Überwachung von Maschinen, wie sie bei Siemens in Amberg zum Einsatz kommen, der sogenannten Predictive-Maintenance, kommt KI zum Einsatz. Eine Machine-Learning-Software lernt aus historischen und aktuellen Daten wie Schwingungsmessung, Spannungsverlauf, Temperatur und Druck und kann daraus erkennen, wann eine Maschine auszufallen droht. Das erlaubt ein rechtzeitiges Eingreifen und ermöglicht eine Maschinenwartung mit minimalem Aufwand.


Inzwischen wird Deutschland gerade in der Kombination von Industrie 4.0 und KI ein großes Potenzial bescheinigt. „Deutschland muss sich bei KI nicht hinter den USA und China verstecken“, betonte etwa Professor Wolfgang Wahlster, CEO des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Auch Wahlster war 2011 in Hannover dabei, als die vierte industrielle Revolution ausgerufen wurde.

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