Banking ohne Banker

Sie gilt zwar als Vorreiter in Sachen Digitalisierung, dennoch ist die Bankenwelt nach wie vor vergleichsweise konservativ und traditionell. In welche Richtung die Branche denken sollte, machen indes vor allem chinesische Internetriesen vor.
Illustration: Ivonne Schulze
Andrea Hessler Redaktion

Seit Tausenden von Jahren machen Menschen Finanzgeschäfte. Aktienähnliche Wertpapiere, Wechsel und Kredite wurden schon in Mesopotamien, Ägypten und dem antiken Griechenland genutzt. Banken gab es erst später; die Banca Monte dei Paschi di Siena, gegründet im 15. Jahrhundert, gilt als ältestes noch existierendes Bankhaus der Welt. Die Branche ist alt, konservativ und wenig reformfreudig.


Doch Reformen wären bitter nötig, denn den Banken laufen Kunden weg. Immer mehr Menschen, auch in Schwellenländern, wollen Geldgeschäfte tätigen – aber möglichst ohne Bank. Wie andere Geschäfte sollte sich alles, was mit Bezahlen, Krediten oder Investments zu tun hat, mittels Computer oder besser noch mit dem Smartphone erledigen lassen. Bill Gates etwa, einer der reichsten Menschen der Welt, wird oft mit dem Satz zitiert: „Banking is necessary, banks are not.“ Banken im klassischen Sinne mit repräsentativen Gebäuden, wertvollen Kunstsammlungen sowie Tausenden Filialen und zehntausenden Mitarbeitern sind ein Anachronismus.


Der Meinung ist auch Boris Strucken, Head of Innovation bei Fidelity Information Services (FIS, nicht zu verwechseln mit der Fondsgesellschaft Fidelity), einem Software-Anbieter und Service-Provider spezialisiert  auf Finanzdienstleistungen. „Banken haben die Computerisierung ihres Geschäfts in den 90er und 2000er Jahren forciert. Doch dann sind ihre Bemühungen nach der Finanzkrise leider stark abgeklungen. Daher befinden sie sich nicht in der Phase 4.0, sondern erst bei 2.5 oder 3.0.“ Die Hauptprobleme vieler Banken seien, so ist Strucken überzeugt, ihr ausgeprägter Konservatismus respektive ihre risikoaverse Haltung, eine trotz Krisen zumeist komfortable wirtschaftliche Lage und ein fehlender Forschergeist. „Alles, was sie investieren, muss unmittelbar Geld bringen. Doch sie schaffen es nicht, den Schatz aus Vertrauen und Daten, auf dem sie sitzen, richtig zu nutzen.“


Strucken schlägt vor, die Wertschöpfungskette rund um das Kern-Geldgeschäft zu erweitern. „Wer eine Immobilie finanziert, könnte zum Beispiel auch einen Umzugs- und Reparaturservice anbieten. Das Banking 4.0 muss ins tägliche Doing eingebunden sein.“ Und er setzt weiter auf die menschliche Komponente. „Robo Advisor haben ein eingeschränktes Produktangebot. Daher haben wir für das Wealth Management der von uns gehosteten Banken digitale Kanäle nicht nur für den Endkunden, sondern auch für den klassischen Berater entwickelt.“


Für Zukunftsforscher wie Brett King sieht die Welt des Banking 4.0 hingegen ganz anders aus. Der Mitgründer und CEO der Kundenbindungsplattform für Banken, Moven, sagt: „Es reicht nicht aus, nur bestimmte Technologien wie Künstliche Intelligenz, Blockchain und Smartphones in bereits bestehende Finanzdienstleistungen einzubinden. Banken müssen ihre Rolle, die sie im Leben ihrer Kunden spielen, viel grundsätzlicher hinterfragen. Statt sich auf ihre Produkte zu konzentrieren, müssen sie sich auf den Kundennutzen fokussieren.“ King sieht die Zukunft der Finanzbranche in Plattformen wie Alipay, der Bezahlplattform des E-Commerce-Riesen Alibaba, und Yu’e Bao, dem zugehörigen Geldmarktfonds. Im riesigen Wachstumsmarkt China werden bereits 98 Prozent aller Geldgeschäfte mit dem Smartphone abgewickelt; viele Alipay-Kunden nutzen Yu’e Bao wie eine Kombination aus Giro- und Festgeldkonto – und bekommen dafür vergleichsweise hohe Zinsen.


Yu’e Bao liefert sich seit Jahren ein Wettrennen mit klassischen Geldhäusern wie JPMorgan und Fidelity um den ersten Platz bei der Höhe verwalteter Gelder, der Assets under Management. Im Januar 2020 hatten mal wieder die Amerikaner die Nase vorn. Ob sie den in der Branche schon als „blutsaugenden Vampir“ geschmähten Riesen Yu’e Bao, der komplett automatisiert arbeitet, dauerhaft schlagen können, ist fraglich – auch wenn sich das Selbstverständnis der Big Player schon geändert hat und etwa die Citibank sich als „High Tech Schmiede mit Banking Abteilung“ versteht. Die Folge: Erfolgreiche Institute suchen keine klassischen Banker mehr, sie stellen vor allem Datenanalysten ein.


Bald wird die Nutzung von Plattformen wie Alipay so einfach sein wie das Managen von Smart Homes. „Angaben wie Kontonummern oder zur Risikoakzeptanz werden ebenso überflüssig wie Kreditkarten“, prognostiziert King.  „Wir werden in Restaurants und Läden wie bei Alexa nur mit unserer Stimme bezahlen. Und die Algorithmen werden uns sogar im Vorfeld sagen, ob wir uns die Ausgabe überhaupt leisten können.“

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