Willkommen in der Krypto-Sphäre

Die Meinungen zu Kryptowährungen driften fast so weit auseinander, wie deren teilweise extreme Kursausschläge. Fakt ist jedoch, dass sich einige der Währungen wie Bitcoin oder Ether dauerhaft etablieren
Illustration: Maria Corbi
Illustration: Maria Corbi
Julia Thiem Redaktion

Herr Emden, kaum etwas wird aktuell so kontrovers diskutiert wie Kryptowährungen. Die Spannbreite reicht vom absoluten Spekulationsobjekt bis hin zum „neuen Gold“. Wo verorten Sie die digitalen Währungen?

So viel vorab: Hier gibt es keine richtige oder falsche Antwort. Ich denke, es ist wichtig, Investoren dafür zu sensibilisieren, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Denn grundsätzlich sind Kryptowährungen ein Investment, bei dem man mit einem Totalverlust rechnen muss. Sie sind hoch volatil, extrem riskant und nicht vollständig reguliert – was die Argumentation „Spekulationsobjekt“ unterstützt. Andererseits kann man mit dem dezentralen System und der gedeckelten Menge beim Bitcoin natürlich parallelen zum Gold ziehen. Wenn ein Laie daraus jedoch schließt, es handele sich um eine sichere Wette, ist das allerdings Wahnsinn. Deshalb würde ich sagen, die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo in der Mitte und jeder muss sie für sich selbst, seine persönliche Risikoneigung und seine Investmentziele finden.

Wenn man die kurzfristige Brille allerdings einmal absetzt und die zugegebenermaßen extremen Schwankungen ausblendet, zeigt sich bei Kryptowährungen doch aber eine gewisse Wertstabilität.

Da stimme ich Ihnen absolut zu. Wer 2015, 2019 oder auch erst mit Ausbruch der Corona-Pandemie in Kryptowährungen investiert hat, wird auch nach dem Rutsch am Markt noch weit im Plus sein. Wer den Bitcoin allerdings bei 65.000 US-Dollar gekauft hat, dem wird man kaum vermitteln können, dass ein digitales Asset, das binnen einer Woche knapp 40 Prozent einfach so abgibt, eine gewisse Wertstabilität hat. Die Perspektive, mit der man auf Kryptowährungen schaut, und der Einstiegszeitpunkt in den Markt sind demnach entscheidend für die Einordnung der Assets.

Weil Sie gerade vom Markteinstieg 2015 sprechen: Haben sich Kryptowährungen so weit etabliert, dass sie bleiben?

Auch ich habe leider keine Glaskugel. Es spricht allerdings viel dafür. So sind Kryptowährungen mittlerweile in der traditionellen Finanzwelt, insbesondere an der Wallstreet angekommen. Es gibt Future-Kontrakte auf Bitcoin und Ether, in Kanada gibt es erste ETFs, die Kryptowährungen abdecken, und mit Coinbase ist nun auch eine Handelsplattform für digitale Währungen an der Börse gelistet, was die Wahrnehmung sicherlich noch einmal verändern wird. Und mit Paypal und Tesla – auch wenn Letztere mittlerweile wieder zurückgerudert sind – haben erste große Unternehmen angekündigt, Kryptowährungen zu akzeptieren. Ebenfalls ein eindeutiges Signal.

Tesla ist auch deshalb ein gutes Stichwort, weil sich der dortige Chef Elon Musk mittlerweile zu einem echten Kurstreiber für Kryptowährungen entwickelt. Wie bewerten Sie dieses „Influencen“?

Ehrlicherweise wundert es mich, dass hier noch keine Behörden eingeschritten sind. Denn das, was Musk mit seinen Tweets auslöst, grenzt an Marktmanipulation, von der er und auch seine Unternehmen profitieren.

Ein Argument dafür, dass eine Regulierung für Kryptowährungen kommen muss?

Zumindest denke ich, dass das Zurückrudern von Tesla damit zusammenhängt. Die Regulierung ist ein schwelendes Thema, das natürlich auch für Unsicherheit sorgt, weil sich niemand mit einem zu schnellen Vorpreschen und einer falschen Positionierung die Finger verbrennen möchte.

Spätestens, wenn es in der realen Welt konkrete Anwendungsfelder gibt, werden die Regulierungsbehörden sicherlich aktiv werden müssen. Wie weit sind wir davon entfernt, beispielsweise bei den schon deutlich etablierten Währungen wie Bitcoin oder Ether?

Der Bitcoin steht allein schon deshalb an erster Stelle, weil er die erste Kryptowährung überhaupt war. Dieser Rang wird schwer abzulaufen sein. Und auch mit Blick auf den Handel, also immer dann, wenn Fiatgelder über Kryptobörsen versendet werden, dominiert der Bitcoin, weil diese Gelder dort in BTC verweilen. Der Bitcoin hat also auch eine Tauschfunktion. Er wird sicher nicht in der Breite den Euro oder andere Währungen als Bezahlmittel ablösen. Aber das soll er auch gar nicht. Ziel ist es, dass er zum „Store of Value“ wird, was er in den Augen vieler Anleger bereits ist. Anders sieht es bei den konkreten Anwendungsfeldern für Ether und seine zugrundeliegende Technologie Ethereum aus, denn die Anwendungsfelder für die Blockchain-basierten Smart Contracts sind immens.

An welche Anwendungsfelder denken Sie für die Ethereum-Technologie?

Ganz einfach erklärt steckt hinter den Smart Contracts ein programmierter Code, der auf der Ethereum-Blockchain abgelegt wird. In einem solchen Code können beispielsweise Dokumente wie Urkunden oder Zeugnisse abgelegt werden. Das ist das klassische Notargeschäft, das ich in dem Moment, in dem ich meine Grundstücksurkunde auf der Ethereum-Blockchain ablege, tatsächlich überflüssig mache. Es gibt mittlerweile auch erste Feldversuche im Vertragswesen. Beispiel Hamburger Hafen: Ein chinesisches Containerschiff kommt an. Dann gibt es den einen Moment, in dem die Ware den Besitzer wechselt. Über einen Smart Contract auf Ethereum könnte dieser Zeitpunkt klar definiert werden – ohne Verlust- und Fälschungsrisiken. Allein im Rechtswesen und in der Logistik kann man diese Anwendungsfelder unendlich weiterspinnen. Hier steckt großes Potenzial.

Großes Potenzial, große Datenmengen, immer mehr Anwendungsfelder – damit kommen wir zwangsläufig auf die Kritik des hohen Energieverbrauchs durch Blockchain und Kryptowährungen. Passt das zum aktuellen Nachhaltigkeitstrend bei der Geldanlage?

Man darf in der Tat nicht vergessen, was hinter der Technologie steckt. Es sind eben nicht nur drei, vier Computer, die irgendwo angeschlossen sind, sondern ein komplexes System, das viele Lebensbereiche elementar verändern kann, indem es bis heute keine Ausfälle gab. Die Kritik am hohen Energieverbrauch ist gerechtfertigt, ist aus meiner Sicht aber kein Totschlagargument – auch weil das Thema Nachhaltigkeit bei Investoren so hoch oben auf der Agenda steht und von dort aus Druck ausgeübt werden wird. Erste Verbesserungen beim CO2-Ausstoß werden auch bereits angestoßen.

Nächster Artikel
Wirtschaft
Dezember 2023
Illustration: Mal Made
Redaktion

Selbst fahren oder fahren lassen?

Autonomes Fahren klingt längst nicht mehr wie eine Science-Fiction-Vision. Dennoch werden wir noch lange keine selbstfahrenden Autos auf unseren Straßen sehen. Aus gutem Grund.